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Edelgard Struss

Chefredakteur

   Blieb die Sorge, einen Chefredakteur zu beschaffen. Nach dem neuen Programm der Gesellschaft sollte er folgende Eigenschaften besitzen: er sollte unbedingtes Vertrauen als Mitbürger genießen, der Beamtenschaft angehören, einen Titel besitzen, ob usurpiert oder erworben, der bei Bedarf aufgebessert werden konnte; außerdem sollte er eine respektable Erscheinung besitzen, damit man ihn auf Festen und andern öffentlichen Vergnügungen zeigen konnte; er musste unselbständig sein; ein klein wenig dumm, weil die Gesellschaft wußte, daß wahre Dummheit immer konservative Denkart im Gefolge hat; daneben aber auch einen gewissen Grad Hinterlist, damit er die Wünsche der Vorgesetzten in der Luft fühle und nie vergesse, daß allgemeines Wohl privates ist, rechtlich verstanden nämlich; gleichzeitig musste er etwas älter sein, weil er dann leichter zu lenken war, und verheiratet, weil die Gesellschaft, die aus Geschäftsleuten bestand, gesehen hatte, daß verheiratete Knechte sich besser benehmen als unverheiratete.
   Die Persönlichkeit wurde gefunden, und sie besaß in hohem Grad all die genannten Eigenschaften. Es war ein wunderbar schöner Mann von ziemlich guter Figur, mit langem, wallendem, blondem Vollbart, der all die schwachen Punkte seines Gesichts verbarg, durch die die Seele sonst unbehindert hindurch geblickt hätte. Seine großen, offenen, falschen Augen fingen den Zuschauer und stahlen ihm sein Vertrauen, das dann ehrlich mißbraucht wurde. Seine etwas verschleierte Stimme, die nur die Worte der Liebe, des Friedens, der Rechtschaffenheit und vor allem der Vaterlandsliebe sprach, verlockte manche irregemachte Zuhörer, sich um den Punschtisch zu versammeln, wo der vortreffliche Mann seine Abende zubrachte, indem er Rechtschaffenheit und Vaterlandsliebe verbreitete.

 
S. 132-133 aus: August Strindberg: Das Rote Zimmer. München bei Georg Müller 1922. Text nicht mehr urheberrechtlich geschützt.