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Edelgard Struss

Hausmeister

   Samstagmorgengeschichten. Bei uns im Haus. Samstagmorgen ist Treppenputzen. Aber gründlich. Unser Hausmeister kennt sich aus. Könnte sich als aufsichtsführender deutscher Hausmeister ja gut und gern seine eigene regelmäßige jugoslawische Putzfrau. Sich aussuchen, bestellen, halten und kommen lassen. Eigentum. Beim Putzen zwecks Beaufsichtigung ihr mit Sachkunde auf den Arsch im hellblauen Nylonkittel und gehörich ihr auch auf die Finger gucken. Staubproben. Antreten zum Appell. Aber in seiner Gründlichkeit putzt er schon lieber selbst. Jeden Samstag. Es geht so: Putzeimer, Putzmittel, Putzlappen. Ab ins Manöver. Ein bißchen Lärm auf der Treppe, eine kleine Unruhe in die Köpfe der Mieter hinein. Unvermeidlich! Besen, Mop, Schrubber, die ganze Truppe. Im Treppenhaus strammstehen! Kaum erst halb neun. Dann geht er und sammelt vor allen Wohnungstüren überfallartig die Fußabstreifer ein. Die werden jetzt interniert. Schutzhaft. Immer noch kaum erst halb neun. Dabei schläft er samstags schon immer zwei Stunden länger. Muß die Woche über als Lagerverwalter ja immer schon um sechs Uhr früh auf der Matte. Zehn vor sechs. Die Ärmel hoch und heißes Wasser in die Putzeimer. Er hat mehrere Putzeimer. Auf jedem Treppenabsatz mindestens einen. Beobachtungsposten. Auch extra Fensterputzzeug. Ausgebreitet schon auf der Fensterbank. Die Topfpflanzen und Erinnerungen aus dem Weg. Blumentischchen. Einerseits ist er für, andererseits aber auch gegen Topfpflanzen. Sind wie die Fußabstreifer, sind den Fußabstreifern ihr Gegenteil. Gehören zur gleichen Familie. Sich nicht ablenken lassen! Was sein muß, muß sein. Jetzt geht es auf neun. Alles vorbereitet. Das Putzwasser dampft in den Eimern. Am besten jetzt eine Pause. Zigaretten. Die Bildzeitung. Lottozettel. Lieber noch Fußballtoto. Auch die Sportzeitung. Lotto-Annahmestelle. Der Laden ist gleich um die Ecke. Samstags geht er in Schlappen. Als Stammkunde unter Stammkunden Samstagmorgen hier an der Ladentheke auch gern einen schnellen preiswerten Flachmann. Muß man unterderhand. Aber ja, jederzeit. Auf dem Rückweg, wenn er Glück hat, hat der Tannenbaum auch schon auf. Andernfalls vor ins Jordaneck, aber lieber ist ihm der Tannenbaum. Schnell ein Bier und-n Korn. Noch einen! Sowieso ist das Putzwasser jetzt schon kalt. Ist länger schon kalt. Kann er sich gern auch Zeit lassen. Der Kollege Krause. Immer im grauen Kittel und nie ohne Werkzeugkasten, der Krause. Hat sich mit Rasierwasser und Frisiercreme. Das Rasierwasser erst kürzlich zum Geburtstag. Raucht Stumpen. Hat von nix keine Ahnung nicht. Zehn wird es. Elf. Aus der Nachbarschaft die Kollegen. Immer mehr Samstage. Jetzt muß er sich sogar Zeit lassen, weil um die Zeit die Mieter alle in ihren Samstagsangelegenheiten. Immer auf der Treppe. Immerzu rauf und runter. Sieht jeder das Putzzeug da stehen und weiß gleich, daß die Treppe geputzt wird. Wie jeden Samstag. So ein gründlicher Hausmeister! Schafft er vormittags noch den Rückweg, dann ist es besser, er macht nicht gleich mit der Treppe weiter. Damit ihm nicht dauernd die Mieter mit ihren vielen ungeduldigen Füßen dazwischenhinein. Höchstens daß er gleich nochmal heißes Wasser. Und Putzmittel rein. Das ganze Treppenhaus riecht nach Putzmittel, vier Etagen. Das sieht er gern, wenn die Eimer so stehen und vor sich hin dampfen. Noch besser, er bleibt gleich über Mittag im Tannenbaum. Zwo Buletten. Zwo Frankfurter Frikadellen mit Senf und Brot. Mit den Händen. Wenn kein Brot da ist, auch Kartoffelsalat mit Gabel. Und jetzt nicht an früher denken, sonst quillt die Vergangenheit als Familie ihm gleich so im Magen auf. Schlimmer als Heimweh und Sodbrennen. Braucht er vorsorglich gleich einen Jägermeister. Maria. Sie hieß Maria. Also eigentlich hieß sie Marianne. Zwei Kinder. Die Kinder jetzt groß. Kennt er nicht. Kennen ihn auch nicht. Können ihn gar nicht kennen! Zwei Kinder. Gleich noch einen Jägermeister. Gesundheit. So ein guter Anfang am Morgen, da kann er sich gut und gern Zeit lassen jetzt. Über Fußball, Politik, Lottozahlen, Juden, den zwoten Weltkrieg, Lagerverwaltung in Eschborn. Hauptlagerhauptverwalter. Nie auch nur eine Minute zu spät! Und immer null Fehler! Blitzkrieg, Sieg nach Punkten, Turniersieger! Boxen, Bundesliga und Fußballweltmeisterschaft. Bier und Korn. Früher als ranghoher höherer Kriminalbeamter in Hannover. Geheimdienst. Dienstgeheimnis. Braucht er gleich noch einen Jägermeister. Und drei Häuser weiter das Haus Nr. 36. Er als Hausmeister. Denkmalschutz. Eigenhändig. Fraglos das beste Haus weit und breit. Ehrensache die Mieter. Als Hausbesitzerin eine feine ältere Dame in Blankenese. So fein, daß sie außer ihm keiner kennt. Der Krause wie immer von nix keine Ahnung. Noch ein Bier. Im-Moment wird im Haus die Treppe! Putzt sich von selbst! Bier und Korn. Weit in den Nachmittag hinein. Kommt er heim, ist es still im Haus. Kann er sich Zeit lassen. Die Topfpflanzen an ihren Platz zurück. Vorher noch das Putzwasser weg. Und Obacht, daß er sich damit nicht die Schlappen naß! Samstags geht er in Schlappen. Jetzt ein Lied? Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen. Ein Wanderlied, aber kann als Fußballer natürlich auch die Nationalhymne. Am besten vor der Haustür über den Gehsteig das Putzwasser, daß es so in den Rinnstein schwappt. Kann jeder gleich sehen, im Haus ist geputzt worden. Gründlich. Dann das Putzzeug zurück in den Besenschrank. Bevor es noch hier im Treppenhaus herumstolpert und ins Torkeln gerät und anfängt zu randalieren. Besonders der Schrubber, der Mop und die unbelehrbaren Besenstiele. Mit Selbstgesprächen die Fußabstreifer. Wieder jeden vor seine Tür. Verwechselt er einen, werden die Mieter schon unter sich. Wo geputzt wird, kann das schon einmal vorkommen. Manchmal samstags schafft er die Fußabstreifer mittags nicht mehr. Hat Zeit auch bis zum Abend. Hat auch morgen noch Zeit. Warum kriecht das Gelump nicht von allein an seinen Platz zurück? Tun sowieso die meiste Zeit nix wie rumlungern, die Fußabstreifer. So ein staubiges faules Gesindel. Manchmal kommt er aus dem Tannenbaum heim, weit und breit keine einzige junge jugoslawische Putzfrau mit ihrem hübschen Arsch, kommt heim und ist so erschöpft, daß er alles stehen- und liegenläßt und fällt in einen Mittagsschlaf, der lang ist und breit und tief wie ein Graben. Muß das Putzzeug sich selbst vertrösten. Erst am Sonntag der Marschbefehl. Abtreten. Rührt euch! Erst recht auch die Fußabstreifer. So eine saubere Treppe, da kann man den Fußabstreifern auchmal einen Ruhetag. Sauberkeit. Ordnung. Extra Speziallappen, um immer wieder das Treppengeländer damit zu polieren. Regelmäßig. Mit Sorgfalt. Briefkastenmessingputzmittel für die getauften Messingbriefkästen bei der Hautür. Eisern, jeden gesegneten Samstag. Vom Dachboden bis zum Keller, das ganze Haus. Nur neuerdings mit dem Raucherbein läßt er ab und zu einen Samstag ausfallen. Eigentlich ja zwei Raucherbeine. Bloß das eine ein bißchen besser, weil das andre eher noch schlimmer. Eine Krücke auf Krankenschein. Samstags geht er in Schlappen. Im Tannenbaum kann er die Füße hochlegen. Stundenlang. Soll nun nächstens zur Kur. Vielleicht ist ja Samstag der Tag, an dem er immer die Hausbesitzerin anruft. Vor dem Kühlschrank voll Flaschenbier. Beide Füße hochgelegt oder in einer Schüssel mit lauwarmem Wasser? Telefonisch. So eine feine ältere Dame, die sich ganz auf sein Wort verläßt. In ihrer Villa in Blankenese.

 
S. 129 - 133 aus: Peter Kurzeck, Übers Eis. Roman, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2001; © 1997 Stroemfeld Verlag Basel, Frankfurt am Main. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags: www.stroemfeld.com