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Edelgard Struss

Kaufmann

   Levi war ein junger Mann, der zum Kaufmann geboren und erzogen, gerade im Begriff stand, mit Hilfe seines reichen Vaters sich zu etablieren, als der Vater starb und nichts hinterließ als eine unversorgte Familie.
   Das war eine große Enttäuschung für den jungen Mann, denn er war jetzt in den Jahren, da er glaubte, selbst mit der Arbeit aufhören zu können und andre für sich arbeiten zu lassen. Er war fünfundzwanzig Jahre alt und hatte ein vorteilhaftes Äußere; breite Schultern und vollständige Abwesenheit von Hüften machten seinen Rumpf besonders geeignet, einen Gehrock auf die Art zu tragen, wie er’s oft bei gewissen ausländischen Diplomaten bewundert hatte; sein Brustkorb hatte von Natur die eleganteste Wölbung, die einem Vorhemd mit vier Knöpfen volle Elevation geben konnte, wenn der Träger auch am Schmalende eines langen von Mitgliedern besetzten Direktionstisches auf einem Lehnstuhl niedersank; ein schön gespaltener Vollbart verlieh seinem jungen Gesicht ein einnehmendes und gleichzeitig Vertrauen erweckendes Aussehen; seine kleinen Füße waren dazu gemacht, um einen Brüsseler Teppich im Direktionszimmer zu betreten, und seine wohlgepflegten Hände eigneten sich besonders gut für eine leichtere Arbeit, sowie dazu, seinen Namen zu unterzeichnen, am liebsten auf gedrucktem Formular.
   In der Zeit, die jetzt die gute heißt, obgleich sie in Wirklichkeit für viele sehr schlimm war, hatte man eben die größte Entdeckung des großen Jahrhunderts gemacht: daß man billiger und angenehmer von fremdem Geld lebt als von eigener Arbeit. Viele, viele hatten sich ihrer bereits bedient, und da sie durch kein Patentgesetz geschützt war, so kann sich niemand wundern, daß Levi sich beeilte, sich ihrer zu bedienen, zumal er selbst kein Geld besaß und keine Lust hatte, für eine Familie zu arbeiten, die nicht die seine war.

 
S. 155-156 aus: August Strindberg: Das Rote Zimmer. München bei Georg Müller 1922. Text nicht mehr urheberrechtlich geschützt