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Edelgard Struss

Kellner

   Der sechzehnjährige Kellner aber, der sich an die Ständeruhr lehnte, neben dem Theaterzettel, er schlief nicht, denn er schlug mit seiner weißen Schürze unaufhörlich nach den Fliegen, die eben in der Küche gewesen und Mittag gegessen hatten und nun ihr Spiel trieben; dann fiel er wieder zurück und lehnte sein Ohr gegen den großen Bauch der Uhr, als untersuche er, was sie zu Mittag bekommen hatte. Und das sollte er bald erfahren, denn jetzt schnuckte das lange Biest und genau vier Minuten später schnuckte es wieder, und dann begann es in seinem Innern zu lärmen und zu poltern, daß der Junge in die Höhe fuhr und hörte, wie es unter fürchterlichem Röcheln sechsmal hintereinander schlug, um dann wieder an seine stille Arbeit zu gehen.
   Auch der Junge mußte an seine Arbeit, und er machte in seinem Stall [Saal, E.S.] die Runde, striegelte mit der Schürze seine Gäule [Tische, E.S.] und brachte alles in Ordnung, als erwarte er Besuch. Auf einem Tisch ganz im Hintergrund des Saals, von dem ein Zuschauer mit seinen Blicken das ganze lange Zimmer beschießen konnte, stellte er Streichhölzer und daneben eine Flasche Absinth und zwei Gläser, ein Likör- und ein Trinkglas; darauf holte er vom Brunnen eine große Karaffe Wasser und stellte sie neben die feuergefährlichen Sachen auf den Tisch. Dann machte er einige Spaziergänge durchs Zimmer, wobei er ganz unerwartete Stellungen einnahm, als ob er jemand nachahme. Jetzt stand er da, die Arme über der Brust gekreuzt, den Kopf gebeugt und den linken Fuß vorgestreckt, und schickte Adlerblicke nach den abstoßenden Tapeten der alten Wände; jetzt stand er da, die Beine gekreuzt, die Knöchel der rechten Hand auf der Tischkante, und hatte in der Linken eine aus einem Porterdraht gemachte Lorgnette, durch die er die Deckenleisten spöttisch beguckte.

 
S. 180 aus: August Strindberg: Das Rote Zimmer. München bei Georg Müller 1922. Text nicht mehr urheberrechtlich geschützt